Ungewollt erfanden wir in den Ferien im Tessin ein Spiel. Es heisst «old bottle killing» oder der Einfachheit halber «obk». Es ist lustig, unterhaltsam und lehrreich. Es geht darum, alte Weinflaschen zu öffnen, am Glas zu riechen und den Inhalt dann wegzukippen. Am besten in einen grossen Eimer, aus dem es zunehmend unergründlicher riecht.
Das Ganze hat eine Vorgeschichte: Unser Nachbar zügelte in eine kleinere Wohnung. Den in langen Jahren angesammelten Hausrat veräusserte er grösstenteils. So kamen wir günstig zu einem Ping-Pong-Tisch. Zum Schluss drehte er uns zwei Harassen mit alten Weinen an, die Flaschen in Lumpen eingemummt. Es seien alte Barolo darunter, die ihn ein Vermögen gekostet hätten, Bordeaux, Burgunder, ja sogar eine Bouteille Mouton-Rothschild. Wir blieben reserviert, doch für den Preis einer Hunderternote wollten wir die nachbarliche Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. So schleppten wir die zwei Kisten in den Keller.
Abends kamen Gäste. Wir beschlossen, die Wundertüte zu öffnen. Zuoberst lagen ein paar Flaschen Château Canteloup 1977. Der Jahrgang ist eine Katastrophe. Der Wein auch. Eine befremdliche Mischung von grünen Peperoni und dem unappetitlichen Geruch alter Socken. Weg in den Kübel. Darauf öffnen wir den Château Hautefaille 1977. Das Etikett verstaubt, der Inhalt dito. Den Eimer freut es. Keine Besserung beim Château Junayme 1980. Ungelüfteter Schrankgeruch. Ob die beiden 1979er Château Tour du Moulin und Château Clarke von Edmond de Rothschild die Stimmung heben? Der Jahrgang ist für einmal von leidlicher Güte und Baron Edmonds Gattin sorgte doch kürzlich in einem Weltwoche-Interview für Erheiterung. Vergebens gefreut. Vom Rothschildschen Charme ist nichts zu spüren. Dünn und grob beide Säftchen – das Niveau des Putzkessels steigt.
Beim 1979er Bourgogne Grand Ordinaire von Thomas-Bassot kippt die Stimmung von Enttäuschung in Euphorie. Die bräunliche Brühe duftet derart dekadent-nekrophil, dass gute Laune aufkommt. Das bizarre Spiel beginnt Spass zu machen. In voller Fahrt wechseln wir die Pferde und galoppieren der Reihe nach zwei 1967er Barolo (Marchesi di Barolo, Giacomo Damilano) in den Abgrund bzw. ins Becken. Bei den zwei abschliessenden Weinen – eine Riserva 1979 Tenuat S. Anna aus Loncon und der Merlot 1975 Grave del Friuli – brechen wir in homerisches Gelächter aus. Nicht, weil wir zuviel intus hätten – geschluckt wurde ja kaum einmal –, sondern, weil Lachen die einzig angemessene Antwort auf die grotesken Tropfen ist.
Was ist aus dem flotten Spiel zu lernen? Lassen Sie nur grosse Weine aus überdurchschnittlich guten Jahren alt werden. Und kaufen sie schon gar nie bereits gereifte Flaschen unsicherer Qualität und dubioser Quelle. Und, ach ja, wie war der Mouton-Rothschild 1976, der zuunterst in der Kiste lag? Die Flasche hatte schon beträchtlichen Schwund. Der Wein, körperreicher als die verendeten Vorgänger, in Geruch und Geschmack von Kellermuff gezeichnet. Auch er endete leider im Eimer!